Hisham Maizar ist Schweizer Arzt palaestinensischer Herkunft und Praesident der Foederation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz

Heute vor vier Jahren beschloss das Stimmvolk, ein Verbot von Minaretten in die Verfassung zu schreiben. An vorderster Front gegen die Minarettinitiative gekämpft hat Hisham Maizar.
Ab 2014 übernimmt er nun den Vorsitz im Schweizerischen Rat der Religionen.  Dieses Gremium, dem die FIDS Föderation Islamischer Dachorganisationen der Schweiz, die christlichen Landeskirchen, der Schweizerisch-Israelitische Gemeindebund sowie die Koordination Islamischer Organisationen angehören, widmet sich dem interreligiösen Dialog. «Die Nordwestschweiz» traf Maizar in St. Gallen.
Herr Maizar, wenn man in der Schweiz über den Islam spricht, dann meistens über Islamismus, die faschistoide Interpretation des Islam. Nervt Sie das? Hisham Maizar: Zum Teil. Denn der Begriff Islamismus ist ein Phänomen, das unterschiedlich aufgefasst wird. Islamismus ist nicht gleich Terrorismus. Trotzdem wird er von manchen Muslimgruppen für ihre extremistischen Positionen missbraucht, die nicht mit einem Islam der Mitte einhergehen.
Was ist der Islam der Mitte?
Das ist eigentlich der Kern des Islam und meint die Absage an extreme Meinungen, ob religiöse oder politische. Ich stehe in der neutralisierenden Mitte. Ich versuche deutlich zu sagen, der Islam ist nicht dafür herabgesandt worden, damit diese extremen Kräfte das Feld besetzen.
Aber nach Ihrer Niederlage bei der Minarettabstimmung verschwanden Sie von der nationalen Bühne und haben den extremen religiösen und politischen Akteuren das Feld überlassen. Hat Sie diese Niederlage zu sehr getroffen?
Die Abstimmung hat mir sicherlich keine Freude bereitet. Es ziemt sich nicht für die Schweiz, so ein Verbot in die Verfassung zu schreiben. Es ist diskriminierend, während doch die Schweiz für Neutralität und Besonnenheit steht. Aber die Analysen haben gezeigt, dass nicht die Muslime der Grund für das Ja waren, sondern die Angst vor dem Islamismus.
Nochmals: Das Bild des Islam in der Schweiz prägen extreme Akteure aus Religion und Politik. Haben Sie, als Präsident der Fids nach der Niederlage nicht einfach das Feld den Radikalen überlassen?
Dem ist nicht so. Wir, die Mainstream-Vertreter des Islam, akzeptieren den Volksentscheid. Ich bin überzeugt, dass ein grosser Teil der Schweizer die Initiative falsch verstanden hat und nicht gegen Minarette ist. Zudem wurde von rechts Angst vor dem Islam geschürt. Aber die Leute kennen den Islam nicht. Es ist unsere Aufgabe, sie aufzuklären. Wir öffnen uns zunehmend und gestalten etwa Tage der offenen Moscheen.
Sie vertreten doch nicht den Mainstream. Die meisten Muslime sind säkular – Religion spielt für sie kaum eine Rolle. Ich rede nicht im Namen aller Muslime. Wenn ich von Mainstream spreche, dann meine ich die moderaten Muslime, die die Religion und das Leben hier für vereinbar halten.
Sie wollen, dass Teile der religiösen Rechtsprechung auch hier gelten – nicht nur für den Islam. Sie befeuern damit aber Ängste vor der Scharia. Müssten Sie sich nicht deutlicher von radikalen Muslimen abgrenzen?
Wir haben uns deutlich distanziert von extremen Gruppierungen wie dem Islamischen Zentralrat, der zum Teil aus ehemaligen Linksradikalen besteht, die zum Islam konvertiert sind und sich bereits als Gelehrte bezeichnen. Man muss sich fragen, weshalb sie entstanden sind.
Und warum?
Es kann sein, dass sie in anderen Verbänden keine Heimat gefunden haben. Vielleicht haben sie aber auch gedacht, dass sie die einzig wahre Interpretation des Islam haben. Wir wollen die Leute des Zentralrats aber nicht daran hindern, ihren Weg zu gehen. Im Gegenteil. Bis zum heutigen Tag sagen wir, dass sie im Sammelbecken Fids einen Platz haben, wenn sie auf ihren absoluten Wahrheitsanspruch verzichten. Wir würden ihre Meinungen gerne diskutieren, aber nicht, wenn sie auf uns herabschauen.
Ist die Föderation Islamischer Dachorganisationen derart erpicht, als Dachverband aufzutreten, dass man auch für Islamisten offen ist?
Wir sind nicht nur ein Dachverband, sondern auch ein Sammelbecken. Wir sind eine Diskussions-Plattform für alle Muslim-Vereine, auch für Splittergruppierungen. Als Fids-Präsident muss ich darum gegen aussen differenziert auftreten, um alle Strömungen unter ein Dach zu bekommen.
2014 werden Sie für drei Jahre Vorsitzender des Rats der Religionen. Da müssen Sie zusätzlich die Interessen der Christen und Juden vertreten. Was ist Ihr Ziel mit dem Rat für die kommenden drei Jahre?
In den bisherigen sechs Jahren, seit der Rat besteht, haben wir versucht, gegenseitiges Vertrauen zwischen den abrahamitischen Religionen aufzubauen. Dieses Vertrauen gilt es nun zu festigen. Wir sind ein Konsensgremium. Ich entscheide also nicht alleine.
Welche Themen kommen denn auf den Rat der Religionen zu?
Wir besprechen Themen in der Schweiz wie die Frage, wie viel Religion verträgt der Staat.
Bei der Entstehung eines Gesetzes fragen die Behörden die Religionen nach ihrer Einschätzung. Ist diese bisherige staatspolitische Rolle der Religionen für Sie ausreichend, oder sollen die Religionen mehr Macht erhalten?
Es ist unser Ziel, uns stärker in den demokratischen Prozess einzubinden. Bis jetzt war es ein ständiges Abwägen, ob es sinnvoll ist, sich einzumischen oder nicht. Es hat sieben Jahre gedauert, bis wir uns gefunden haben und der Staat uns als verlässlichen Ansprechpartner betrachtet hat. Man wird künftig mehr von uns hören.
Fordert nun der Rat mehr Gläubige im Parlament oder will er selber für sich einen Führungsanspruch in Fragen der Moral beanspruchen?
Das Wertesystem der Religionen ist sehr alt und hat sich bis heute bewährt. Der Rat ist wichtig, um über moralische Fragen in der heutigen Zeit nachzudenken.
Aber wir leben in einem säkularen Staat.
Die Religion ist die Lieferantin und Garantin der Werte, die in einer Gesellschaft etabliert sind und sie tragen. Nehmen sie beispielsweise eine Tugend wie die Solidarität.
Dafür kann man aber auch Marxist sein.
Aber der Staat allein kann die Werte nicht garantieren. Initiativen von weit links oder rechts können die Demokratie ins Wanken bringen. Nur die Religion kann die bestehenden Werte garantieren. Darum kann ein liberaler, demokratischer Staat nicht ohne Religion leben.
Wann glauben Sie, wird das Minarettverbot wieder aus der Verfassung verschwinden?
Die Abstimmung über das Minarettverbot hat uns Muslimen die Augen geöffnet. Wir müssen zuerst die Grundlagen und Voraussetzungen für Akzeptanz bei den Bürgern schaffen. Das geht durch Überzeugungsarbeit und Vertrauen und nicht mit weissen Gewändern und Bärten allein. (Quelle,Die Nordwestschweiz)

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