Juden und Muslime feierten an letzten Donnerstag Neujahr

Dass das Fest für beide auf den gleichen Tag fällt, ist sehr selten. Ein Rabbiner und ein Imam aus München erklären die Feierlichkeiten – und was passiert, wenn Gott Inventur macht.

Nach außen ist davon nichts zu sehen: kein Feuerwerk, keine vermüllten Straßen, keine Feiernden, die nach durchzechter Nacht nach Hause schwanken. Und doch ist dieser Donnerstag für viele Münchner etwas Besonderes: Juden und Muslime feiern an diesem Tag ihr Neujahrsfest. Für die einen beginnt das Jahr 5778, für die anderen das Jahr 1439. Und für alle ist es einer der höchsten Feiertage im Jahr.
Für Juden sei der Neujahrstag Rosch Haschana der Tag, an dem Gott die Menschen erschaffen habe, erklärt der Rabbiner Steven Langnas, der zuletzt das „Münchner Lehrhaus der Religionen“ gegründet hat. Immer zu Jahresbeginn mache Gott quasi Inventur und entscheide, wem das nächste Jahr welches Schicksal bringe, sagt er. Jeder solle sich daher jetzt von seiner besten Seite zeigen, sich für Fehler entschuldigen und zeigen, dass er gute Vorsätze gefasst hat. „Gott wartet mit der Entscheidung zehn Tage lang, bis Jom Kippur“, sagt Langnas. Dann werde 25 Stunden lang gefastet. „Und bis dahin ist die Synagoge voll, so wie bei Christen an Weihnachten und Ostern.“
Im Gottesdienst zu Neujahr wird auf dem Schofar, einem Widderhorn, ein Weckruf geblasen. „Die Töne sollen uns wachrütteln aus dem Schlummer der Gleichgültigkeit“, sagt Langnas. Und am ersten Abend sitze man traditionell zum Essen zusammen. Serviert werden unter anderem symbolische Speisen, etwa ein Apfel in Honig, der für ein süßes Jahr steht, ein Granatapfel, der zeigen soll, dass man so viele Verdienste erwerben soll, wie er Kerne hat. Oder ein Fischkopf, der symbolisiert, dass man stets vorne sein möge. Das sei aber alles nur symbolisch, sagt der Rabbiner: Den Fischkopf etwa müsse man nicht essen.
Muslime begehen an Neujahr zunächst einen Jahrestag: Im Jahr 622 christlicher Zeitrechnung zog Mohammed von Mekka nach Medina, wo er die erste islamische Gemeinde gründete. Das sei mehr als ein politischer Gedenktag, sagt der Imam Benjamin Idriz, der das „Münchner Forum für Islam“ leitet. Vielmehr werde jeder Muslim an Neujahr ermahnt, auch innerlich vom Bösen zum Guten zu finden.
Einen überall auf dieselbe Weise gefeierten Ritus gebe es nicht, sagt Idriz. Ein Akzent liege aber auf drei Gedanken: darauf, dass es wichtig sei, einen Ort zu haben, um sich zu treffen, „der Prophet hat in Medina ja die erste Moschee gebaut“. Darauf, einander zu helfen, insbesondere Einwanderern und Flüchtlingen. Und darauf, friedlich mit Andersgläubigen zusammenzuleben. Denn in Medina gab es zuvor keine Muslime, aber dafür Christen und Juden. So erklärt Idriz auch, dass an Aschura, am zehnten Tag des islamischen Jahres, auch Muslime fasten. Dafür gibt es mehrere Begründungen. Idriz sagt, Mohammed habe gesehen, dass die Juden an Jom Kippur fasteten. „Und er hat gesagt: Wenn mein Bruder Mose gefastet hat, mache ich das auch.“
Dass Juden und Muslime am selben Tag Neujahr feiern, ist selten: Beide Religionen verwenden unterschiedliche Kalender, die sich jeweils an den Mondphasen orientieren. Ein Jahr ist dadurch elf Tage kürzer als im weltweit gebräuchlichen gregorianischen Kalender. Um die Differenz wettzumachen, legt der jüdische Kalender Schaltmonate ein, der islamische nicht. Dadurch wird das jüdische Neujahrsfest halbwegs konstant im Spätsommer gefeiert, das islamische dagegen wandert. Dass beide Feste zusammenfielen, war zuletzt am 16. September 1985 der Fall.
Artikel wurde von der Süddeutschen Zeitung übernommen, geschrieben von Jakob Wetzel, 21. Sept. 2017